DJIR-SARAI-Interview: Wir sollten Impulsgeber sein bei der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU

Er ist noch nicht gewählt, macht aber mit klaren Aussagen zu den aktuellen politischen Herausforderungen von sich reden : Bijan Djir-Sarai, der beim nächsten Bundesparteitag des FDP in Berlin zum neuen Generalsekretär vorgeschlagen wird. „Wir Liberalen Senioren finden uns in vielen seiner Positionen wieder – auch in diesem Interview“, meint der Bundesvorsitzende Detlef Parr.  Beispielsweise hatte sich der Bundesvorstand in seiner letzten Sitzung in Frankfurt auch mit der Frage der zukünftigen Energiepolitik und des Klimaschutzes befasst. Dabei legen die Liberalen Senioren wie Sarai großen Wert auf Technologieoffenheit ohne ideologische Grenzen. Sie wollen sich in Forschung und Entwicklung der Zukunftstechnologien von Europa nicht abkoppeln und z.B. nicht nur auf E-Mobilität setzen oder die Kernkraft bei der Schließung von Versorgungslücken ausklammern. „Wir müssen alle Register unseres Wissens ziehen, um die Zukunft mutig zu gestalten“, fordert Detlef Parr. Für den Bundesparteitag haben die Liberalen Senioren bereits einen diesbezüglichen Antrag eingebracht.

Pressemitteilung FDP 25.03.2022

Der designierte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gab „Welt Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Thorsten Jungholt und Diana Pieper:

Frage: Unsere Wehrhaftigkeit entscheide über unsere Sicherheit, sagt Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Dazu gehöre auch eine glaubhafte nukleare Abschreckung der Nato. Sie haben an den Koalitionsverhandlungen über die Außen- und Verteidigungspolitik teilgenommen, Herr Djir-Sarai. Was denken Sie, wenn Sie heute diese Sätze von einer Grünen-Politikerin hören?

Djir-Sarai: Wir haben noch vor vier Monaten Debatten wie aus einer anderen Welt geführt. In der deutschen Politik gab es Stimmen, die darauf drängten, „legitime“ Sicherheitsinteressen Russlands zu berücksichtigen. Auch solche, welche die Nato zu einer Art Dialogplattform erklären wollten. Ich höre jetzt oft den Satz: Wir waren naiv. Wir in der FDP waren es nicht. Nicht bei Russland, nicht bei China oder dem Iran. Nicht alles war im Detail absehbar, aber bestimmte Entwicklungen eben schon. Es gibt ein schönes persisches Sprichwort: Jemand, der schläft, den kann man wecken. Jemand, der so tut, als würde er schlafen, den wird man nie wecken können. Die historische Sondersitzung des Bundestages am 27. Februar hat gezeigt: Die Politik in Deutschland ist in der Lage, rasch auf Veränderungen zu reagieren.

Frage: Sie spielen auf das geplante Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr an. Die neue Wertschätzung der Grünen für die Bundeswehr hat aber auch Grenzen. So wollen maßgebliche Kräfte Ihres Koalitionspartners dieses Geld nicht nur für die Stärkung der Bundeswehr ausgeben, sondern für einen „weiteren Sicherheitsbegriff“. Was sagt die FDP?

Djir-Sarai: Ich warne davor, diese klare Linie zu verwässern und theoretische Diskussionen darüber zu führen, was alles unter Sicherheitspolitik zu verstehen ist. Das ist kontraproduktiv und schadet der Glaubwürdigkeit der Linie, die vom Bundeskanzler persönlich vorgegeben wurde. Die Welt hat sich verändert, und wir alle wissen, in welchem Zustand sich die Bundeswehr befindet. Sie ist das Spiegelbild der Debatten, die in Deutschland in den letzten 20 Jahren geführt wurden, oder besser: nicht geführt wurden. Das muss man jetzt korrigieren.

Frage: Die Union will neben dem Sondervermögen einen Mittelaufwuchs im regulären Haushalt von 1,5 auf zwei Prozent jährlich. Was tun? Sie brauchen die Opposition für die nötige Grundgesetz-Änderung.

Djir-Sarai: Wir als FDP haben in der Vergangenheit immer darauf hingewiesen, dass Deutschland seine Verpflichtungen in der Nato erfüllen muss. Dass diese Vorgabe nun zielorientiert verfolgt wird, ist außerordentlich wichtig.

Frage: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass das Projekt an einer Ablehnung der Union scheitern könnte?

Djir-Sarai: Die Union betont gerne ihre staatspolitische Verantwortung und sollte sich dieser nicht verweigern. Friedrich Merz erweckt ja immer den Eindruck, er habe mit der Zeit von Angela Merkel nichts zu tun. Aber Fakt ist, dass CDU und CSU uns an diesen Punkt geführt haben. Es waren Unions-Verteidigungsminister, die 16 Jahre die Verantwortung hatten.

Frage: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte bei seiner Videoansprache an den Bundestag, Deutschland müsse die Führung beanspruchen, die es verdient. Führen – kann Deutschland das überhaupt im Feld der Sicherheitspolitik?

Djir-Sarai: Unser Ziel muss es sein, eine der modernsten und effizientesten Armeen in ganz Europa zu haben, damit wir unseren Teil der Lasten in der Nato tragen können. Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU gibt es leider oft nur in Sonntagsreden. Wir müssen sie real machen, idealerweise mit Frankreich zusammen als Motor. Wir sollten jedenfalls Impulsgeber dieser Prozesse sein und nicht die Achillesferse, so wie in den letzten Jahren.

Frage: Die Deutschen wurden in den vergangenen 16 Jahren mit Sicherheitspolitik ja nicht sonderlich behelligt. Ist unsere Gesellschaft bereit für mehr militärisches Engagement?

Djir-Sarai: Wir sind in Deutschland sehr stark auf unsere innenpolitischen Herausforderungen fokussiert und glauben: Wir leben sicher, wir leben gut, wir sind umgeben von freundlichen Nachbarn. Und wenn es irgendwo auf der Welt einen Konflikt gibt, werden das die Amerikaner schon regeln. Ich hatte nach 2015 die Hoffnung, dass wir uns in Deutschland mehr mit der Welt beschäftigen. Damals kamen oft Fragen: Warum fliehen die Menschen? Warum kommen die zu uns? Die innenpolitischen Auswirkungen einer weit entfernten Krise wurden deutlich. Wir hatten in Deutschland zu lange keine außenpolitische Diskussionskultur. Das muss sich ändern.

Frage: Sie haben von Beginn an gesagt, dass der Koalitionsvertrag schnell von den Realitäten eingeholt werden könnte. Was ist das Papier jetzt eigentlich noch wert?

Djir-Sarai: 2010 hatte ich eine Begegnung mit Frau Merkel, die unsere Fraktion besuchte. Wir, die jüngeren Abgeordneten, fragten nach einem Passus aus dem Koalitionsvertrag. Merkels Antwort werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Sie sagte: Ein Koalitionspapier, das ist statisch. Politik aber ist dynamisch. Ob Griechenland-, Finanz-, Flüchtlings- oder Corona-Krise: Nichts davon stand in den Koalitionsverträgen. Der Krieg in der Ukraine verändert vieles. Unser Koalitionspapier bleibt gültig, aber bestimmte Bereiche, etwa die Außen- und Sicherheitspolitik, müssen den veränderten Realitäten angepasst werden. Das Sondervermögen ist ein Beispiel dafür. Hier beobachte ich auf allen Seiten eine große Bereitschaft, Dinge neu zu denken.

Frage: Die Grünen müssen Zugeständnisse in der Energiepolitik machen. Muss auch die FDP angesichts der enormen Herausforderungen ihr Glaubensbekenntnis für die Schuldenbremse aufgeben?

Djir-Sarai: Solide Staatsfinanzen bleiben zentral, gerade weil sie uns erst resilient gegenüber Schocks und Krisen machen. Ich halte es daher nach wie vor für richtig, dass die Schuldenbremse eingehalten wird. Aber richtig ist auch: Wir werden mehr Investitionen vornehmen müssen, als wir uns das ursprünglich vorgestellt haben. Das Sondervermögen für die Bundeswehr ist ein Beispiel. Gerade weil die Schuldenbremse Verfassungsrang hat, werden viele Ziele des Koalitionsvertrages priorisiert werden müssen. Das hört sich leicht an, aber das ist ein schmerzhafter Prozess, weil diese Ziele politische Identitäten spiegeln.

Frage: Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) reist durch die Welt, um alternative Energiequellen zu russischem Gas und Öl zu erschließen. Ist es klug, nun Deals mit den Potentaten der Golfstaaten einzugehen, statt über eine Verlängerung Atomkraft zu reden?

Djir-Sarai: Die energiepolitische Abhängigkeit von Russland ist ein großer Fehler. Wir sollten daher mit Bedacht überlegen, in welche neuen Abhängigkeiten wir uns begeben wollen. Auch die Golfstaaten sind als Partner alles andere als lupenreine Demokratien. Angesichts der energiepolitischen Herausforderungen sollten wir uns nun fragen: Ist der Ausstieg aus der Braunkohle bis 2030 realistisch? Können wir eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke kategorisch ausschließen? Der deutsche Sonderweg bei der Energiewende wird in den meisten europäischen Ländern nicht als Vorbild gesehen. Wir müssen uns in der Energiepolitik ehrlich machen.

Frage: Steht Ihr grüner Koalitionspartner dem im Weg?

Djir-Sarai: Gerade erleben viele ein Rendezvous mit der Realität – und die energiepolitischen Herausforderungen stellen sich nun einmal anders dar als noch im Wahlkampf.

Frage: Tut Deutschland nach dem Überfall Russlands genug, um die Ukraine zu unterstützen?

Djir-Sarai: Ich hätte mir gewünscht, dass sich Deutschland schneller solidarisch mit der Ukraine gezeigt hätte. Nicht nur mit Worten, sondern auch durch konkrete Handlungen. Zugleich handelt es sich um eine heikle Situation, in der wir eine völlige Eskalation in der Region und in der Welt verhindern müssen. Das ist nicht leicht.

Frage: Russlands Präsident Wladimir Putin hat angekündigt, dass Gas- und Öllieferungen künftig in Rubel zu bezahlen seien. Das ist nur möglich, wenn der Westen gegen seine eigenen Sanktionen verstößt, nämlich keine Rubel bei der russischen Zentralbank einzukaufen. Steuern wir auf ein Energieembargo zu?

Djir-Sarai: In diesem Pokerspiel gilt es, Stärke zu zeigen. Wir werden die Sanktionen nicht zurückdrehen, solange Putin gegen die Ukraine Krieg führt.

Frage: Viele Menschen zeigen große Solidarität mit ukrainischen Flüchtlingen. Das war am Anfang 2015 ebenfalls so. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die Stimmung irgendwann kippt?

Djir-Sarai: Die internationale Solidarität ist sensationell, besonders im stark betroffenen Polen, wo es sehr viel Hilfsbereitschaft und Verständnis für ukrainische Flüchtlinge gibt. Zugleich ist die Dimension dessen, was auf uns zukommt, enorm. Wenn Russland keine militärischen Erfolge verzeichnen kann, wird es einen noch brutaleren Krieg führen. Die Flüchtlingsströme gehören zu Putins Kalkül, um Europa zu spalten und zu schwächen. Wir brauchen eine europäische Regelung, und ich bin zuversichtlich, dass diesmal ein Verteilmechanismus in Europa gelingt. Auch in Deutschland muss die Zusammenarbeit zwischen Kommunen, Ländern und Bund verbessert werden.

Frage: Sehen Sie die Ampel-Koalition angesichts der vielfältigen Herausforderungen bedroht?

Djir-Sarai: Selten wurde eine Bundesregierung beim Start vor solche Schwierigkeiten gestellt. Konkrete Errungenschaften wie das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr und die beiden Entlastungspakete zeigen aber deutlich, dass die Ampel-Regierung auch unter extremen Bedingungen handlungsfähig ist.

 Quelle: FDP-Pressestelle